Der DLMO und die Sommerzeit

SommerzeitWas der DLMO ist, haben wir bereits hier erklärt. Oft werden wir gefragt, wie es sich denn mit der Sommerzeit und dem DLMO verhält. Passt sich dieser an? Diese Frage ist so einfach nicht zu beantworten. Zusammen mit der Chronobiologin Dr. Giulia Zerbini der Universität Augsburg haben wir versucht, diese auf Basis der aktuellen Studienlage verständlich aufzuarbeiten und zu beantworten.Wer die Hinführung überspringen will, kann hier gleich zum Fazit springen.

Der DLMO

Zunächst noch einmal kurz zusammengefasst. Der DLMO (DimLight Melatonin Onset) markiert den Zeitpunkt im Tagesgang, ab dem eine starke Zunahme der Melatonin-Ausschüttung erfolgt, die erst zur Ermüdung und dann schließlich zum Einschlafen führt. Dieser Zeitpunkt ist in seiner Lage im Tagesgang primär genetisch bedingt. Um ihn festzustellen, greift man heute auf einen Bluttest oder einen Haarwurzeltest zurück.

Zeit und die Natur

Sommerzeit Tagesgang
Abb. 1

Grundsätzlich ist es hierzu wichtig zu wissen, dass die Natur keine Zeit (also Sekunden, Minuten und Stunden) kennt. Sie kennt nur Rhythmen (Phasen) und Phasenlagen. Der Mensch präzisiert diese Phasen und Phasenlagen nun durch Zeitangaben. Wie ist das zu verstehen:

In der Grafik (Abb. 1) ist ein kompletter Tagesgang bestehend aus einem Tag/Nacht Zyklus zu sehen. Für den Verlauf der Sonne ist unsere Zeitmessung völlig unerheblich. Die Sonne interessiert unsere Zeitmessung nicht. Wir sehen dies darin, dass natürlich der Zenith der Sonne in seiner Lage im Tagesgang trotz Zeitverschiebung durch Sommerzeit gleich bleibt, also weiterhin in der „Mitte“ des Tagesverlaufes, unabhängig davon, wie lange die Sonne tatsächlich im Sommer bzw. im Winter am Tag scheint. Die Tatsache, dass wir nun die Zeit verschieben, hat einzig zur Folge, dass wir den Zeitpunkt des Zenith der Sonne um eine Stunde verschoben messen bzw. darstellen (Zenith der Sonne statt 12.13 Uhr im Winter/MEZ, 13.13 Uhr im Sommer/MESZ in Wartenberg/Bayern).

Sonnenzeit, Normalzeit, Sommerzeit

Im nächsten Schritt müssen wir ein paar Begrifflichkeiten erläutern.

Sonnenzeit1:

Die Sonnenzeit orientiert sich am Tageslauf der Sonne. Wie der Name sagt, ist diese Zeit verknüpft mit dem Sonnenlicht. Vor der Einführung mechanischer Uhren wurde die Tageszeit ausschließlich anhand der Sonnenzeit bestimmt, die z.B. über Sonnenuhren gemessen wird. Die Sonnenzeit ist deckungsgleich mit der Ortszeit, wobei letztere eben 24h abdeckt und nicht nur den Sonnen-Tag. Durch die Eisenbahn wurden lange Reisen möglich, sodass es bei der Sonnenzeit zunächst nötig war, die Uhren der Fahrgäste an jedem Bahnhof wieder anzupassen. Um dies zu vereinfachen, wurden Zeitzonen eingeführt.
Fazit: Die Sonnenzeit ist die Zeitmessung, die dem natürlichen Tagesgang am nächsten ist. Sie ist nicht (!) zu verwechseln mit der Sommerzeit.

Normalzeit2:

Manchmal „Zonenzeit“, gesetzliche Zeit oder heute umgangssprachlich auch „Winterzeit“ genannt, bezieht sich nicht mehr direkt auf den Tagesgang, sondern ist die Zeit, die grundsätzlich innerhalb einer von aktuell 24 Zeitzonen gültig ist. Diese Zeitzone wird grob über einen Raum zwischen Breitengraden definiert, berücksichtigt jedoch auch territoriale und länderbezogene Grenzen. Manche Zeitzonen wurden auch historisch an andere Regionen angepasst (z.B. Spanien seit dem  2. Weltkrieg an Deutschland). Aber auch politische Vorgaben prägen manche Zeitzonen. So gibt es politisch festgelegt in China nur eine Peking-Zeit, auch wenn sich das Land über 5 klassische Zeitzonen hinweg erstreckt.
Fazit: Die Normalzeit ist die in einem jeweiligen Land gültige „Standardzeit“.

Sommerzeit3:

Jeweils am letzten Sonntag im März eines jeden Jahres, werden die Uhren nachts um 2.00Uhr um eine Stunde vor gestellt. Somit entfernt sich die gemessene Zeit dauerhaft noch weiter von der Sonnenzeit. Beispiel: In Aachen ist am 21.06. der Zenith der Sonne gemessen an der
    • Sonnenzeit: 12.00Uhr
    • Normalzeit: 12.37Uhr
    • Sommerzeit:13.37Uhr
Fazit: Die Sommerzeit ist die Zeit, die am weitesten von der natürlichen Sonnenzeit, und damit auch von der biologischen Innenzeit des Körpers entfernt ist. Denn der Körper orientiert sich am Sonnengang und damit z.B. auch am Zenith der Sonne.

Der DLMO und die Sommerzeit

Sommerzeit - DLMO
Abb. 2

Wir kommen zurück zur Chronotypisierung. Am Ende der o.g. Chronotypisierungsverfahren (z.B. BodyClock RNA Chronotypentest) erhält der Getestete seinen DLMO (Zeitpunkt) mitgeteilt. Als Beispiel für den DLMO nehmen hier 20.00Uhr (siehe Grafik Abb. 2).

Wie schon angemerkt kennt die Natur jedoch keine Zeit. Ein exakter Zeitpunkt ist also immer (!) eine Momentaufnahme, genauso, wie die Pulsmessung zu einem bestimmten Zeitpunkt bei 50 liegen kann und zu einem anderen bei 120, da wir z.B. dann gerade Sport treiben. Niemand würde davon ausgehen, dass der gemessene Puls von 50 nun auf ewig Gültigkeit behält, egal was wir tun.
Ähnlich ist es mit dem DLMO, nur dass dieser sich nicht primär an Verhalten (z.B. Sport, Arbeitszeiten), sondern in erster Linie an Veränderungen im Tagesgang (z.B. bei Flügen in andere Zeitzonen) und/oder der Sonnenscheindauer (z.B. Winter/Sommer) anpasst.
Am Beispiel in der Grafik (Abb. 2) sehen wir, dass die Sonnenscheindauer im Sommer in Berlin am 21.06. bei 16h 50 min liegt, am 21.12. dagegen bei 7h 39 min. An diese Differenz passt sich der DLMO im Laufe des Jahres individuell rhythmisch an.
In einer Studie von Dr. Giulia Zerbini 4 wurde ermittelt, wie sich der DLMO zwischen einem Zeitpunkt in der Sommerzeit (21.06.) und einem Zeitpunkt in der Normalzeit (21.12.) verändert. Im Ergebnis stellte sich heraus, dass sich der DLMO im Durchschnitt gegenüber der Sonnenzeit um 1h verschob. Der gemessene DLMO (Zeitpunkt) war in der Sommerzeit der gleiche wie in der Normalzeit (siehe Grafik).
WICHTIG! Wie schon angedeutet, ist es jedoch nicht so, dass sich der DLMO an die Zeitumstellung anpasst. Er verändert sich also nicht mit Beginn der Zeitumstellung, sondern zwischen den beiden Sonnenwenden. Da nur an den beiden Sonnenwendtagen gemessen wurde, kann der tatsächliche Anpassungsverlauf innerhalb der jeweils 6 Monate dazwischen bisher nicht wissenschaftlich belegt werden.

Fazit

  1. Die bisherigen Erkenntnisse legen nahe, dass die Anpassung des DLMO um bis zu 1h nicht einer künstlichen Zeitverschiebung folgt, sondern vorrangig auf einer Veränderung der Sonnenlichtexposition (Zeit in der man dem Sonnenlicht ausgesetzt ist) im Jahresverlauf beruht. Da die Sonnenscheindauer jeweils zwischen den Sonnenwenden (21.06./21.12.) um bis zu 8h differiert, verändert sich damit auch die zeitliche Möglichkeit der Menschen, sich dem Sonnenlicht auszusetzen. Zudem ist die Motivation ans Sonnenlicht zu gehen im Sommer höher als im Winter.
  2. Es gibt Hinweise, dass Menschen unterschiedlich sensitiv zum Licht sein können. Dies bedeutet: Obwohl die Sonne für alle gleich ist, wirkt sich durch Verhalten und biologische/genetische Variationen der Zeitgeber „Sonnenlicht“ in einer gewissen Bandbreite individuell auf die Menschen aus.
  3. Die Studienlage ist noch nicht ausreichend, um mit Sicherheit sagen zu können, wann ein bestimmter Chronotyp zu einem bestimmten Zeitpunkt im Jahr welchen DLMO innerhalb der unter Punkt 1 dargestellten Bandbreite (1h) aufzeigt, ohne ihn zu diesem Zeitpunkt zu messen. Hier wird mit zunehmender Datenmenge entsprechend sprichwörtlich mehr Licht ins Dunkle kommen.
  4. Da sich die Variationen im Jahresgang nicht maßgeblich (also eher im Bereich von 60min, und nicht über mehrere Stunden) zeigen, wird in diesem Zusammenhang aktuell empfohlen, z.B. im Rahmen chronotypenorientierter Personaleinsatzplanung (COPEP®), diese im Jahresgang nicht speziell an Sommer und Winter bzw. Sommerzeit und Winterzeit anzupassen.
Die Politik der einzelnen europäischen Länder wird in 2021 über die Abschaffung der Zeitumstellung im Sommer und Winter entscheiden. Dann erübrigt sich zwar die Ausgangsfrage in Punkto „Sommerzeitumstellung“, die Verschiebung des DLMO um durchschnittlich 1h zwischen Sommer und Winter wird sich jedoch voraussichtlich nicht maßgeblich verändern.
Das bedeutet: Der DLMO verschiebt sich zwar weiterhin zwischen Winter und Sommer um 1h, das Kernproblem der sich z.B. nicht mit verschiebenden festen Arbeits- bzw. Schulbeginnzeiten bleibt jedoch bestehen, sofern die dauerhafte Sommerzeit bestehen bleibt. Im Sommer gehen wir um bis zu 1h später ins Bett, stehen jedoch morgens zur unveränderten, sich nicht mit verschiebenden Uhrzeit auf. Die dauerhafte Sommerzeit verschärft genau diese Problematik und trägt sie, sollte sie dauerhaft bleiben, dann auch in den Winter hinein, was negative Auswirkungen auf das Gesamt-Schlafedfizit befürchten lässt.

Wissenschaftliche Beratung: Dr. Giulia Zerbini

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Referenz

  1. https://www.duden.de/rechtschreibung/Sonnenzeit
  2. https://de.wikipedia.org/wiki/Gesetzliche_Zeit
  3. https://de.wikipedia.org/wiki/Sommerzeit
  4. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/jpi.12723