„In unserer Informationsgesellschaft schlafen wir ein bis eineinhalb Stunden kürzer als noch in den 1960er-Jahren“
Prof. Dr. med. Geert Mayer, ehemaliger Vorsitzender (2006-2012) der DGSM (Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin)
Auch wenn es bisher keine validen Langzeitstudien zu der Entwicklung der Schlafdauer der Deutschen gibt, ist belegt, dass Schlafmangel sich zu einem großflächigen Problem für die Menschen entwickeln kann. Bislang war der volkswirtschaftliche Schaden, der durch Schlafmangel entsteht, nicht beziffert worden. Experten haben aber schon lange gewarnt, dass dieser sehr hoch sein würde.
In der 2016 erschienenen Ausarbeitung Why sleep maters – Quantifying the Economic Costs of Insufficient Sleep der RAND Europe Cooperation wurde nun erstmals für 5 große Industrienationen (USA, Deutschland, Japan, UK und Canada) neben dem Zusammenhang von Sterblichkeit und Schlafmangel, auch der volkswirtschaftliche Schaden des Schlafmangels ermittelt. Für diejenigen, die sich mit dem Thema Schlaf schon intensiver auseinandersetzen, sind die Ergebnisse zwar nicht überraschend, aber dennoch beeindruckend. Für Politiker und Wirtschaftsentscheider jedoch sollten sie Grund genug sein, sich dem Thema wesentlich intensiver zu widmen. Denn Schlafmangel ist kein Thema, dessen Reduzierung von gewaltigen Investitionen begleitet sein muss. Die Hindernisse sind überwiegend im Bereich von Mustern zu suchen, deren Überwindung man sich scheut, anzugehen.
Datengrundlage für diese Studie bieten Interviews zwischen 2015 und 2016 mit über 62.000 Personen aus den o.g. Ländern. Die Methodik hier auszuführen, würde zu weit führen. Die komplette Studie ist am Ende verlinkt. Hier können die entsprechenden Informationen herausgelesen werden. Dabei wurden unter anderem folgende Faktoren einbezogen:
- Lifestyle -und Gesundheitsfaktoren
- BMI (Body Mass Index)
- Rauchen
- Gezuckerte Getränke
- Physische Aktivitäten
- Mentaler Zustand
- Persönliche und soziodemografische Faktoren
- Unbezahlte Pflegetätigkeiten
- Kinder
- Finanzielle Angelegenheiten
- Geschlecht
- Ehelicher Status
- Arbeitspsychologische- und Arbeitsfaktoren
- Stress und Angst sowie unrealistische Erwartungen (Zeitdruck)
- Wahlfreiheit bzgl. der Schlafroutine
- Unregelmäßige Schlafzeiten (z.B. Schichtarbeit)
- Pendelzeiten
Was aber sagt nun die Studie im Einzelnen aus? Hier wird in erster Linie auf Deutschland eingegangen. Die Daten der anderen untersuchten Länder (USA, UK, Japan, Kanada) kann man aus der Studie entnehmen:
- Wie Minuten zu Stunden werden:
Parameter Tägliches Schlafdefizit in min BMI (Body Mass Index) - Übergewicht 5 Raucher 5 Gezuckerte Getränke 3,4 Physische Aktivitäten (weniger als 120min/Woche) 2,6 Schlechter mentaler Zustand 17,2 Unbezahlte Pflegetätigkeiten 5 Kinder 4,2 Belastende finanzielle Angelegenheiten 10 Männlich 9 Unverheiratet 6,5 Stress und Angst sowie unrealistische Erwartungen (Zeitdruck) 8 Keine Wahlfreiheit bzgl. der Schlafroutine 2,3 Unregelmäßige Schlafzeiten (z.B. Schichtarbeit) 2,7 Pendelzeiten (zwischen 30 und 60 min einfach) 9,2 Summe aller Parameter 90,1 - Verlust an tatsächlicher Arbeitszeit durch Schlafdefizit
Im nächsten Schritt wurde der durch das Schlafdefizit erzeugte volkswirtschaftliche Verlust an Arbeitszeit ermittelt und in Stunden und Tagen für das jeweilige Land und seine Bevölkerung hochgerechnet. Dabei wurde in der Datenerhebung auch zwischen Voll- und Teilzeitarbeit unterschieden. Für Deutschland ergaben sich dabei interessante Zahlen. 1,67 Mio. (bezahlte!) Arbeitsstunden verpuffen sowohl aus volkswirtschaftlicher Sicht, als natürlich auch (heruntergebrochen) aus Sicht aller Unternehmen in Deutschland durch Schlafdefizit.Vergleicht man diese Zahl mit den tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden in Deutschland in Höhe von rund 59 Mrd. (2015 – Quelle: destatis), mag diese mit ihrem Anteil sehr gering erscheinen. Auf rund 43 Mio. Erwerbstätige (2015 – Quelle: destatis) hochgerechnet kommt so auf 819 Erwerbstätige ein Mitarbeiter, den man im Prinzip für in der Regel unverschuldetes Nichtstun bezahlt. - Volkswirtschaftlicher Schaden durch Schlafdefizit
Im Gegensatz zum reinen „Verpuffen“ an Arbeitszeit ist der volkswirtschaftliche Gesamtschaden, der durch Schlafdefizit entsteht, komplett anders zu ermitteln, als nur durch das Zusammenaddieren reiner Arbeitszeiten. Hier spielen vor allem tatsächlich entstandene Schäden mit rein, die z.B. durch Übermüdung entstanden sind. Dies können rein finanzielle Schäden sein, die entstehen, weil ein z.B. übermüdeter Finanzbroker oder Bankmitarbeiter einen Fehler machen oder materielle und personelle Schäden, die z.B. durch einen Unfall entstehen. „Übermüdung“ wird z.B. nach „Geschwindigkeit“ als zweithäufigste Unfallursache für Verkehrsunfälle benannt.„Internationale Statistiken belegen die Unfallgefahr durch Sekundenschlaf. Für Deutschland zeigte eine Studie auf Autobahnen, dass eingeschlafene Fahrer für jeden vierten tödlichen Pkw-Verkehrsunfall verantwortlich waren. Mindestens jeden sechsten schweren Verkehrsunfall (16 %), an dem ein Lkw beteiligt war, verursachte ein übermüdeter Berufskraftfahrer … Damit gehört Müdigkeit zu den häufigsten Unfallursachen.“ ADAC – Müdigkeit im Straßenverkehr„Neben Unfällen sind es aber auch die großen, globalen Katastrophen wie Tschernobyl, Three mile Island und der Untergang der Exxon Valdez, die mit Übermüdung von Personal in Verbindung gebracht werden (Quelle: RAND Europe) und enorme volkswirtschaftliche Schäden hervorrufen. Hier setzt die Berechnung der RAND Europe an. Die Ergebnisse der Studie liefern beeindruckende Zahlen.Die Studie ermittelt für 2015 einen jährlichen volkswirtschaftlichen Schaden von 1,56% des Bruttoinlandsprodukts (BIP ). Das BIP für 2015 lag bei 3,364 Billionen USD. Somit ergibt sich eine Schadenssumme von rund
57,158 Mrd. USD,
was bei aktuellem Kurs (Stand: 05.08.2017) eine Wert von 48,54 Mrd. € entspricht.
Um einen besseren Vergleich zu haben: Diese Summe entspricht fast 8% des gesamten Steueraufkommens der BRD in Höhe von rund 620 Mrd. € (2015).
Prognose:
Für die kommenden Jahre zeigt die Kurve weiter nach oben. Dabei steigt die tatsächliche Schadenssumme überproportional, da die Prognosen für den BIP zumindest bis 2020 steigend sind.
Was tun?
Grundsätzlich hat der Tag nur 24h innerhalb derer eine Aufteilung „Erwerbsarbeit, Freizeit, Schlaf “ stattfinden kann. Die Gesellschaft hat die Reihenfolge klar vorgegeben und der Schlaf steht am Ende der Kette. Das Problem dabei ist, dass die „Erwerbsarbeit“ automatisch einen Ring an „Nicht-Freizeit“ mit sich bringt. Fahrten zur oder von der Arbeit sowie die Pausen können nicht als „Freizeit“ gezählt werden und nehmen nicht selten 3 – 31/2 h in der Summe täglich ein. Um dabei aber den Wunsch nach Freizeit nicht in den Hintergrund kommen zu lassen, wird letztendlich am Schlaf gespart. Sehr deutlich wird dies auch bei der Sommerzeit-Diskussion. Das Hauptargument der Sommerzeit-Befürworter „Dann hat man mehr vom Abend!“ belegt dies sehr deutlich. Man möchte länger aufbleiben, obwohl man morgens nicht länger schlafen kann.
Gerade die Diskussion um flexiblere und längere Arbeitszeiten, die aktuell im Rahmen des Wahlkampfes angestoßen werden, sind hier nicht produktiv, wenn diese „Flexibilität“ zu einer weiteren Einschränkung des Schlafes führt, nur um noch einen Fetzen Freizeit zu haben. Neue Arbeitsmodelle wie mobile Arbeitsformen bieten im Prinzip eine Chance für Erwerbstätigkeit, in Bereichen in welchen dies möglich ist, losgelöst von Pflichtarbeitszeiten zu mehr Schlafzeiten zu kommen. Allerdings bedeutet dies auch in den Führungsetagen der Unternehmen einen Wandel. Denn solange die „Zeiteinteilungshoheit“ bei den Führungskräften und Unternehmen liegt, liegt auch die Verantwortung für genügend Schlaf zu richtigen Zeiten ein Stück weit in Ihrer Verantwortung. Und letztendlich muss auch der Arbeitnehmer wieder an die Wichtigkeit des Schlafes herangeführt werden, denn am Ende dient dies nicht nur ihm selbst, sondern auch langfristig jedem Unternehmen.
Es liegt selten daran, dass etwas nicht geht, sondern meistens daran, dass jemand nicht will.
Fazit:
Das nach wie vor populäre Dogma, dass harte Arbeit und wenig Schlaf sich bedingen, ist Ursache nicht nur für bedenkliche Entwicklungen in Bezug auf Gesundheit und Leistung, sondern puscht letztendlich auch das Risiko von nun auch quantifizierten Schäden, die jeder auf verschiedensten Wegen finanziell mittragen muss. Egal ob über Steuergelder, höhere Versicherungsbeiträge oder hohen Krankenkassenbeiträgen. Und lassen wir das Geld einmal beiseite, stehen hinter jedem durch Ermüdung verursachten Unfall menschliche Tragödien, die nicht in Geld aufgewogen werden können. Hier muss jedem klar sein, dass die Unfallsverursacher nur vordergründig die übermüdeten Personen sind. Im Grunde sind es all diejenigen, die dem Schlaf keine Bedeutung zumessen. Das finanzielle Potenzial, welches sich für Unternehmen hinter einem „Rhythmusmanagement“ von Erwerbszeit, Freizeit und Schlaf für Mitarbeiter verbirgt, ist gewaltig.
Michael Wieden
Anmerkung: Diesen Artikel hat Michael Wieden für das Chronobiologie-Portal www.chronocollege.de geschrieben.
Hier finden Sie die komplette Studie der RAND Europe:
Why sleep maters – Quantifying the Economic Costs of Insufficient Sleep
Weitere Quellen:
BIP-Prognosen: Statista und Trading economics
Schlafdauer 1979: Krippe et.al 1979 (https://www.schlafzentrum.med.tum.de/index.php/page/normaler-schlaf)
Schlafdauer 2013: Statista
Unfallursachen: ADAC – Müdigkeit im Straßenverkehr